Games im Kampf gegen Windmühlen - Ein Reisebericht aus Mexiko

Alexander Zenker - 01.07.2023

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Moin.

Ich will in diesem Blogbeitrag ein bisschen über zwei Netzwerk-Meetings sprechen, die ich letztens in Mexiko hatte. Ich erfuhr dabei etwas über die mexikanische Gaming-Szene, deren Schwierigkeiten am Markt, die Verhältnisse zur Regierung und den fehlenden Fundings, sowie den Bestrebungen, wie Mexiko und Lateinamerika einen Fuß in den internationalen Gaming-Markt bekommen könnten.

Eines wurde mir auf jedenfall sehr deutlich gemacht: Wir Game Devs in Deutschland sind im Vergleich zu den Kollegen in Mexiko in einer sehr privilegierten Position! Aber von Anfang an …

Bevor ich beginne, noch kurz ein Hinweis: sämtliche Namen und Informationen aus diesem Beitrag, die ich im Netz finden konnte, habe ich euch mit einer Link-Liste am Ende des Beitrags zusammengestellt.

I

Ich war also letztens in Mexiko gewesen. Primär zum Urlaub machen, eigentlich. Aber auch ein bisschen zum arbeiten, wie man das als Selbstständiger halt so macht. Workation eben. Ist trendy #digitalnomad. Was mir aber erst nach der Hälfte der Zeit bewusst wurde, war: wenn ich schon einmal in Mexiko bin, kann ich mich doch hier mit mexikanischen Studios und Devs austauschen! Was geht eigentlich in Mexiko mit Games? Keine Ahnung! Also:

LET´S DO IT!!!

Ich kannte niemanden hier – weder ein Studio, noch einen Publisher oder Single-Devs… (Selbsttest: Fällt dir ein Game/Studio/Publisher aus Lateinamerika ein?)

Ich fragte eine befreundete Game-Journalistin nach ihr bekannten Studios. Sie nannte nur den Namen „Lienzo“(dt. Leinwand, Gemälde) – ich ging auf deren Website: ein 11-köpfiges Studio mit Sitz in Chihauhua, dem Norden Mexikos. Von den Spielen die ich vorfand war ich sofort fasziniert. „Mulaka“ und „Aztech“ heißen die zwei neuesten Titel des Studios. Es sind bunte 3D-Action Adventure, die sich beide auf eine sehr zugängliche Art mit der „prehispanic time“ beschäftigen, also mit der Zeit vor der Kolonisation durch die Europäer. Beide Games lassen mich in indigene Rollen schlüpfen, um deren Kultur zu entdecken. Sie wirkten auf den ersten Blick aufwendig produziert. Das sah schonmal sehr vielversprechend so aus, als würden Games hierzulande schon längst in der Kultur angelangt sein. Diese Hoffnung sollte sich als nicht ganz richtig erweisen. Aber dazu später mehr.

Mit eifriger Neugier schrieb ich also Lienzo eine Anfrage, ob ein Treffen in Persona zum offenen Austausch mit einem deutschen Indie-Dev wie mir möglich wäre: Ich wär´ gerade in Mexico City (Abk. „CDMX“ – Ciudad de Mexico) und hätte noch eine Woche Zeit.

Zwei Tage später erhielt ich eine Antwort: der Geschäftsführer des Studios Edgar Serrano meldete sich. Er selbst hatte keine Zeit, dafür hatte er meine Nachricht an einen Whatsapp-Verteiler weitergeleitet. Später erfuhr ich, dass der Verteiler so gut wie die gesamte mexikanische Game-Szene umfasste! Circa 100 Studios wussten jetzt also Bescheid: ich war in CDMX und suchte nach Austausch. Das war doch schonmal ein erfolgreicher Anfang!

Prompt tauchten mehrere Mails von verschiedenen Menschen in meinem Postfach auf. Daraus wurden am Ende leider nur zwei konkrete Meetings:  Ich hatte nun Dates mit Jacobo Castaneda und Laura Rubi Meneses Adams. Beide meldeten sich als Vertreter der „IGDA“, der „International Game Developers Association“ – dem größten international und gemeinnützigem Verein für Spielentwickler*innen. Man kann sich bei der IGDA als lokale Vertretung anmelden und auf deren Netzwerk und Informationen zugreifen. Laura ist für das Chapter Zentralmexiko verantwortlich, Jacobo für Nordmexiko. Die beiden waren also eine Art Kollegen.

II

Mit Jacobo hatte ich das erste Treffen. Wir gingen in zwei Lokalen frühstücken. Im ersten gab es ein Bier für ihn und einen Kaffee für mich. Im Zweiten wurden wir in buntem Ambiente mit allen Klassikern des mexikanischen Frühstücks bewirtet - also Eiern, Bohnen, Avocado, Käse, wahlweise Fleisch oder Wurst, Salsa, Tortilla, Saft und Kaffee … Kurz: dem Paradies auf Erden!

Jacobo war gut vorbereitet. Mit unaufdringlicher Art zückte er eine Liste mit Gesprächsthemen und arbeitete alle seine Punkte ab. Er war sehr strukturiert und zielstrebig, dabei aber nicht gehetzt. Er erzählte mir, dass es die Games-Branche in Mexiko schwer hätte. Viele Spielproduktionen würden beginnen, doch nur wenige fänden ein Ende. Von der Regierung gäbe es keine Unterstützung, im Gegenteil, man glaube dort nicht an Games als Kulturgut. Mehr seien Spiele ein schlechter Einfluss für die Gesellschaft und sollten deshalb erst recht keine Unterstützung erhalten. Eine Meinung, wie man sie in Deutschland vielleicht noch aus der Zeit der „Killerspiel“-Debatte kennt. Ein Grund für diese Haltung, könnte sein, dass der Markt zum Großteil aus ausländischen Triple-A Produktionen besteht und weniger aus lokalen Spielen. Fragt man mexikanische Gamer*innen nach nationalen Produktionen wie Lienzo´s Mulaka, kennen es nur die wenigsten, so Jacobo. Ein großes Interesse an Indie-Entwicklungen, ob aus dem Ausland oder dem eigenen Land, gibt es eher nicht. Da ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass man sich in der mexikanischen Politik schwertut, Games als verantwortungsvolles Kulturgut zu akzeptieren.

Damit Produktionen wie die von Lienzo mehr nationale Aufmerksamkeit bekommen, setzt sich Jacobo für verschiedene Projekte ein. Das Magazin Bit-Gamers steckt noch in den Kinderschuhen, doch damit möchte er eine Plattform schaffen, um öffentliches Interesse an einer Spielekultur außerhalb der Großproduktionen zu wecken. Nebenher organisiert er Stände auf der jährlichen Gaming-Messe Gamacon und versucht ausländische Investoren für den mexikanischen Markt zu begeistern. Dazu ist er Präsident der IGDA für Nord-Mexiko und ist so Ansprechpartner, Initiator, Netzwerk-Hub und Berater für Studios aus der Region. All das macht Jacobo ehrenamtlich, neben seinem eigentlichen Job als HR-Manager im Gastronomiegewerbe.

Nach gut zwei Stunden, brachen wir aus dem zweiten Lokal auf. Jacobo führte mich noch durch den „Freaky Plaza“, einem Kaufhaus bestehend aus vier Etagen japanischer Popkultur, Game- und Comic-Stores in der Innenstadt von CDMX. Auf der Suche nach einer günstigen Second Hand Version vom Zelda Remake „Link´s Awakening“ für die Switch, fragte sich Jacobo für mich überall durch. Leider ohne Erfolg. Die Preise für Mainstream-Games, wie den für ein aktuelles Zelda, sind durch die hohe Nachfrage, schon fast vergleichbar mit den europäischen Preisen. Mexikanische Spiele liefen mir im „Freaky Plaza“ nicht über den Weg, vielleicht ja dann beim nächsten Mal…

III

Am Tag darauf traf ich mich in einem US-Like-Diner mit dem zweiten Gaming-Kontakt. Ich war den Weg nach Guadalupe mit dem Fahrrad aufgebrochen, weshalb ich gehetzt und verschwitzt im Lokal ankam. An einem der Plätze saß eine Frau mit einem großen Strohhut. Sie schaute auf ihr Handy. Ihr Name war Laura Rubi Meneses Adams. Laura ist wie Jacobo eine Vertretung in der IGDA, jedoch für México City statt für Nordmexiko.

Nachdem ich mich erfrischt hatte begann direkt unser Gespräch. Während sie mir ihre Handy als Audio-Recorder vors Gesicht hielt, fragte sie mich wissbegierig nach der Fördermittelstruktur für Games in Deutschland aus. Ich fühlte mich plötzlich wie im Interview. Ich erklärte ihr alle Punkte die mir einfielen, über die Bundes- und die Länderförderungen, sowie über unsere Studioerfahrung mit diversen Fördertöpfen. Anders als Jacobo, der Investoren in der Wirtschaft suchte, war Laura auf der Suche nach Unterstützung in der Politik. Sie hatte bereits Gespräche mit Politiker*innen gehabt und versuchte über Lobby-Arbeit ein Vertrauen für Games in der Regierung zu entwickeln. Mit einer Präsentation über die Gaming-Szene in Mexiko geht Laura in Meetings mit Vertretungen aus der Politik und stellt vor, was die Ziele und Werte der Szene sind und vor allem, die Gründe, warum das unterstützenswert ist bzw. die Game-Szene Hilfe braucht. Unter anderem zeigt Laura in der Präsentation die Übersicht aller mexikanischen Gamestudio. (#Selbsttest - Wenn du also jetzt testen möchtest, wieviele mexikanische Studios du kennst, kannst du in der Link-Sammlung dein Glück versuchen!) Lauras Einschätzung zu folge, ist die Politik offener als Jacobo es noch erfahren hatte. Konkrete Deals waren nicht in der Tasche, doch sie wirkte hoffnungsvoll und enthusiastisch. Ist also doch eine nationale Gamesförderung in Mexiko realistisch?

Wir bekamen Hunger und verließen das Diner, gingen die Avenida Montevideo auf ihren schmalen Fußgängerwegen ein Stück hinauf, bis wir an ein kleines aber feines mexikanisches Lokal kamen. Hier war es authentisch – es gab die begehrten Mittagsmenüs, die aus einer Suppe, dem Hauptgang und einer Nachspeise bestanden. Ein verdünnter erfrischender Fruchtsaft ist inklusive und wird stets vom Personal nachgefüllt. In diesen Lokalen fühlt man sich bodenständig und wohlhabend zugleich. Ein tolles Gefühl!

Mit dem Ortswechsel vollzogen wir auch einen Themenwechsel. Das Formelle war abgefrühstückt, jetzt gings ans Eingemachte – Game-Theory und Game-Culture beim Mittagessen. Laura konnte mit dem Thema aus unserem aktuellen Projekt „Meine Oma(88)“ vom transgenerationalen Gedächtnis viel anfangen. Sie assoziierte viel persönliche Haltungen damit und war überzeugt, dass Spiele mehr Potenzial haben, als es bisher genutzt wird. Sie erzählte mir von Alejandro Jodorowsky (ein chilenischer Filmemacher und Comicautor), der via Facebook kostenlose Tarot-Sessions mit ihr machte, weiter über irrwitzige Seelenverbindungen in Träumen zwischen ihrer Mutter und sich und wie man solche Erfahrungen in Gamedesign umsetzen könne. Haben Spiele nicht die Möglichkeit das Unmögliche, die Metaphysik und undefinierbaren Gefühle wie Traumreisen erfahrbar zu machen? Wir schwirrten mit unseren Gedanken umher, bis es Zeit war zu gehen.

Wir gingen zum Abschluss noch in die Basilica de Santa Maria de Guadalupe, eine moderne katholische Kirche, die man per Rolltreppe durchfahren kann. Das Ufo-artige Zirkuszelt wurde direkt neben der Stelle erbaut, an dem der Mexica Juan Diego Cuauhtlatoatzin die Jungfrau Maria erblickte. Er half einen Genozid wie er in Nordamerika stattfand zu vermeiden, indem er einen Weg für die Bewohner der bedrohten indigenen Kulturen in den Katholizismus ebnete. So überlebten die Ureinwohner Mexikos die Kolonisation der Europäer #Kurzfassung. Nachdem kurzen Ausflug, musste Laura eilig los. Wir verabschiedeten uns und schwupps war sie auch schon weg.

Der Trip nach Mexiko war für sich eine großartige und ereignisreiche Reise. Doch die Treffen mit Jacobo und Laura waren nochmal besonders. Einerseits war es interessant sich mit wildfremden Menschen in einem wildfremden Land zu treffen und zu wissen, dass die „Games“ als Thema und Leidenschaft uns schon zusammenhalten würden. Andererseits war es bewundernswert und inspirierend, zwei Personen kennenzulernen, die sich wie im Kampf gegen Windmühlen für die Spielkultur- und -industrie in Mexiko einsetzten.

Ich wünsche der Game-Szene in Mexiko viel Erfolg und Glück. Auf dass sich erfolgreiche Indie-Titel in der Öffentlichkeit durchsetzen und beweisen, dass Games mehr sind als ein Call of Duty, Assassins Creed oder Fortnite. Sie sind Kultur und haben die Möglichkeit Erfahrungen anzubieten, die selbst komplexe Themen leicht zugänglich machen können. Damit Studios sich so etwas trauen, braucht es Menschen die sich dafür einsetzen, Menschen wie Jacobo und Laura. Ich wünsche ihnen deshalb alles Glück der Welt und maximale Erfolge dabei! Auf den Erfolg mexikanischer Games, auf nationaler wie internationaler Ebene und auf das wir uns bald über einen mexikanischen Titel erfreuen können.

Hoch den Mezcal!

Salut!

Zenker



Links

Website Lienzo >>> https://www.lienzo.mx/

Trailer Game Mulaka >>> https://www.youtube.com/watch?v=nzT7AueqxRw

Trailer Game Aztech >>> https://www.youtube.com/watch?v=mNZff9pK1Wo

Website IGDA Mexiko >>> https://igda.org/chapters/mexico/

Gamacon >>> https://www.gamacon.mx/

Bit-Gamers >>> https://bitgamers.mx/

Andere Studios: Amano Games >>> https://amano.games/

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